Donnerstag, 5. Juli 2007

Phil:osophisch?

Buchstaben brechen auseinander und hinterlassen im weiß-schimmernden Feld einen Zwischenraum für Möglichkeiten. Unter den Worten verharrt ein Zweifel, der das Tüpfelchen auf dem i verdrängen und ganz oben blinken will, phil:osphisch und prickelnd – um zu beeindrucken, betören, belächeln.

Die Worte haben kein Gesicht und blinken fremd-vertraut, und der Humor zwischen den rausgerotzten Silben freut sich und lächelt sich in mein Herz, dessen Neugier beinahe größer ist das Vergessen-wollen der letzten Nacht, als es versuchte, jemanden mit einem anderen wegzuküssen und kläglich daran scheiterte.

Wir sind nicht auf der Suche, wir wollen gefunden werden, wir laufen durch den Buchstaben-Alltag mit einer kleinen Lücke und füllen sie mit Worten, bis etwas Besseres kommt, und der Typ nebenan raucht Pfeife und stinkt. Fehlende Bruchstücke treiben uns voran, fordern Wortakrobatik und Zeilensprünge, in der Hoffnung auf eine Antwort, auf die Vollendung eines Puzzles hoch zwei.

Du fehlst, denken wir vielleicht, jeder am Ende seiner Welt und ohne ein Gesicht zu kennen, besonders dann, wenn wir an die Lücke denken, das dreidimensionale Puzzlestück, das irgendwo da draußen vielleicht auch Sehnsucht in Buchstaben versteckt und behauptet, es hätte gar keine, sehnen, wozu und wonach?

Fragst du dich auch ganz leise, wie der Kuss schmeckt, der sich heimlich an jedes getippte Fragezeichen schmiegt?

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Sonntag, 1. Juli 2007

Geschichte, un-traurig

Ich kann es.

Drei Tassen Kaffee, ein Liter Cola light und ein großes Glas Himbeer-Joghurtdrink, das ist die Quote, mit der ich den Vormittag beschließe und meinen Magen zum Rebellieren bringe. Gegessen wird nichts, erstens tue ich mal wieder so, als wäre ich auf Diät, zweitens geht es später in den Biergarten, wo ich mir Schnitzel, Pommes und Bier reinziehen werde, und nun wissen Sie, warum ich nur so tue, als wäre ich auf Diät.

Der Tag ist leer und muss voll werden, bald wird es laut, wenn meine Nichte kommt und meine Wohnung mit Schreien füllt, aber bis dahin werfe ich jeden Gedanken aus dem Fenster, verharre in hirnleerer Leichtigkeit und schmiege mich an die Fernbedienung meines Fernsehers.

Wie so oft bleibe ich bei einer Homeshopping-Sendung hängen und ertappe mich dabei, wie ich dümmlich grinsend die Worte wiederhole, die pathetisch in die Kamera gedroschen werden, und ja, ich gebe es zu: Ich stehe drauf. „Das ist ein Wunder, das ist eine Sensation“ murmle ich mit, jeden Buchstaben einzelnd betonend, mit weit aufgerissenen Augen und einem breiten Lächeln, und ich wette, Sie würden mir die Küchenhobel abkaufen, schließlich braucht man die jeden Tag, und wenn Sie jetzt bestellen, bekommen Sie eine zweite gratis dazu, das spart ein Weihnachtsgeschenk und erfreut Ihre Freunde, ganz bestimmt, das ist ja wirklich eine Sensation.

Der Küchenhobelkönig namens Pepi, mit den grauen Schläfen und dem wienerischen Akzent, redet ohne Punkt und Komma und Lufholen, und ich erinnere mich an alte Zeiten, in denen er mein Chef war, damals auf den Messen, als ich eine arme Studentin war und es nötig hatte, Küchenmaschinen, Bügelstationen und Lust verlängernde Kondome zu verkaufen. Okay, das mit den Kondomen ist gelogen, ich wollte nur testen, ob Sie mir noch folgen. Die Küchenmaschinen stimmen aber tatsächlich, und ich kann heute noch den 15-minütigen Vortrag, der die Kunden überzeugen sollte, mir eines der Schrottteile abzukaufen, die zu Hause sofort kaputt gingen, leider, leider.

Ich zappe weiter und lande im ZDF-Fernsehgarten, eine weitere Leidenschaft von mir, zu der ich stehe. Ja, ich grinse auch dümmlich, wenn ich Schlagernarren ihre seicht-gereimten Tonhülsen singen höre, und ja, ich möchte auch mal einen Schlager singen, direkt nach meiner Karriere als Homeshopping-Moderatorin, oder währenddessen. Ich glaube an Schicksal, als Matthias Reim sein Playback runterhoppelt, denn er hat nicht nur dieselbe Haarfarbe wie ich, sondern trägt auch ein schwarzes T-Shirt mit Gitarren-Print, und spätestens jetzt weiß ich, warum ich seine Musik mag. Vermutlich sind wir Dualseelen und wissen es nicht, und wenn es nicht schon so lange her wäre, würde ich behaupten, „Verdammt, ich lieb dich“ wäre mir gewidmet, oder etwa nicht, und ich überlege, wann mein T-Shirt mit Matthias Reim-Print wohl ankommen wird, ja, Sie lesen richtig, ich habe tatsächlich eines bestellt.

Ich kann es. Oder haben Sie in dieser Geschichte etwa Traurigkeit entdeckt?

Samstag, 30. Juni 2007

Reimen ist einfach

Es gibt Tage, die sind verloren. Nicht, weil ich verliere, sondern weil ich mich verliere. An die Kraft, die um mich schwebt, aber keinen Eingang in mich findet, und diese Kraft kann alles, vor allem mich zerstören. Sie klopft stundenlang an mein Herz und fleht darum, gehört zu werden, aber obwohl ich jedes Wort verstehe, muss ich die Tür verschlossen lassen, das Warum bleibt mir verborgen.

Wenn es rot wird da draußen und zähflüssig fließt, dann merke ich zu spät, dass ich mein Versprechen gebrochen habe und zuließ, was nicht sein soll. Rot, es tut weh, aber schmerzt weniger als alles andere. Manchmal ist es übermächtig, der Schnitt braucht mich, die Furche, das Rot der Nacht. Es sind die Nächte ohne Tränen, ohne Schultern, ohne Wärme, wo die Narben darum bitten, gemacht zu werden und zu bleiben, als verstecktes Mahnmal eines Schmerzes, den sonst niemand sieht. Sie wollen auf die Welt kommen und bluten und heilen und verweilen.

„Wollen wir uns lauter verwerfliche Male in die Haut schneiden und danach verbluten?“ fragt mich J., die seit gestern Lust auf den kollektiven Selbstmord hat, den ich schon vor Monaten vorgeschlagen habe, aber ich bin gegen Hakenkreuze auf Oberschenkeln und überall, Wiederbetätigung ist noch schlimmer als Wiederbelebung, auch wenn man dringend sterben will.

„Du bist eine riesengroße Zicke, aber ich liebe dich trotzdem. Ich liebe dich, ganz doll, so doll, dass es fast weh tut, spürst du es?“, sagt J. durch den Hörer und klingt blechern, aber das Weinen ihrer Tochter wird plötzlich weich und warm, als ob die Worte von J. ihr Herz schneiden würden, und sie lacht plötzlich glockenhell und kinderwarm und engelsweich.

Und ich lerne, worum es geht.

Ich gab mir ein Versprechen und habe es gebrochen.
Ich traf eine Entscheidung und bin daran zerbrochen.
So einfach ist das zu reimen.

Mein Arm ist rot. Bin ich bald tot?
Reimen ist einfach, meinen Sie nicht auch?

Die Weh-Akten

Worauf warten, wenn Warten wie wundenwolkenwelker Wahnsinn wehtut?

Warten. Nicht auf Godot. Aber warten.

Auf Wörter. Auf Weisheiten. Auf Wahrheiten. Auf Wahrscheinlichkeiten. Auf Wunder. Auf Wirklichkeiten. Auf Wunschvorstellungen. Auf Wehmütigkeiten. Auf Wechselwirkungen. Auf Wanderjahre. Auf Willenskraft. Auf Wertvorstellungen. Auf Wolkenbrüche. Auf Widrigkeiten. Auf Wechseljahre. Auf Wintertage. Auf Wahnvorstellungen. Auf Wortfetzen. Auf Würde. Auf Weichen. Auf Wunden.

Worauf warten, wenn Warten wie wundenwolkenwelker Wahnsinn wehtut?

Wunder werden welk, wie wild wuchernde Wanderwege, weit, weit weg, Warten wird wertlos, Würde wird wortlos, weinerlich, weniger. Wunden wildern wissend, wartend, wechselnd.

Warum wohl?

Warten wird weniger.

Wann?

Oh weh. Wundersamer Weise - Scheiße.

Freitag, 29. Juni 2007

Madame Marie

Madame Marie war nicht groß gewachsen. Ihr Haar trug sie flachsblond, wie ein Weizenfeld im September, immer eine Spur zu lang, und ihre Nase hockte wie eine kleine Kartoffel mitten in ihrem blassen Gesicht, auf dem die Sommersprossen chancenlos waren. Ihre Augen waren auch mehr blass als blau, und oft fragte sie sich, von wem diese Blässe kam, von der eisernen Mutter oder vom namenlosen Vater. Sie wusste nicht viel, vor allem nicht über ihre Wurzeln, aber das machte ihr nichts, Madame Marie mochte ihr Dasein, so klein es auch schien. Wer braucht schon Wurzeln, wenn er Flügeln hat, sagte sie sich oft und lächelte ihr breites Septemberlächeln, während ihr blasser Blick sich in der Ferne verlor.

Madame Marie mochte die Weite des Feldes hinter ihrer Hütte, und wenn abends die Sonne zwischen den meterhohen Ähren unterging, lag sie oft zwischendrin und suchte Geschichten in den Wolken, die über ihr flogen, das hatte sie schon als Kind getan, um der eisernen Mutter zu entgehen. Deren Küsse schmeckten nämlich nach Einsamkeit, und diese Einsamkeit servierte sie Marie täglich auf einem Löffel, keinem silbernen, er war aus Holz und schmeckte schal und nach Schimmel.

Marie wurde groß, obwohl sie klein war, und ihre Sommersprossen, die keiner sah, erzählten ihre Geschichte. „Engel sind Geschöpfe, die zwischen Gott und den Menschen stehen“, so predigte der Pfarrer jeden Sonntag in der Kirche des Dorfes, mit dem kleinen Kreuz oben drauf, das sich in der Sonne spiegelte, dort, wo Marie ihre ersten Schritte ging, und fragt man sie heute, was ihre jüngste Erinnerung an damals ist, dann ist es der alte Mann auf der Kanzel, mit dem schlohweißen Haar und der samtenen Stimme, der über Engel sprach, aber sie nicht verstand.

Marie wurde zu Madame Marie, als an jenem Dienstag im Mai das Herz ihrer Mutter nicht mehr wollte und im Jenseits verpuffte, und als Marie verstand, was der Himmel von ihr forderte, wurde sie übermächtig und so eisern wie ihre Mutter, die nicht mehr war. „Ich wollte dich nie“, sagte sie ihr einst einst, und Marie, die damals zwar blass, aber nicht blöd war, haderte mit diesen Worten und fragte nach. Es war verboten. Damals, als im Dorf schmutzige Geheimnisse anstatt des Bürgermeisters regierten und die Moral im Morast versackte, müde und machtvoll, erfuhr Marie die Wahrheit. „Moral wird dir nicht in die Wiege gelegt“, sagte ihre Mutter oft, und Marie verstand nie, worauf sie hinaus wollte. „Ich wollte dich nie“, sagte sie trotzdem, und Marie wollte diesen vier Worten trotzen, konnte es aber nie.

Ihre Mutter hatte es mit einer Stricknadel versucht, aber Marie war schon immer hartnäckig gewesen, auch als Fötus, und sie widerstand der Nadel und dem Wunsch ihrer Mutter. Sie war nie gewollt, und das spürte sie jeden Tag, bis zu jenem, an dem das Herz ihrer Mutter versagte und sie erkannte, woher sie kam. Ein Brief, ein paar Worte, eine zitternde Handschrift, die nach Sehnsucht und Ferne aussah und ein kleines bisschen nach Lavendel duftete. Sie hatte eine Theorie, aber die sagte sie keinem, wozu auch, es spielte doch ohnehin keine Rolle. Aber jetzt wusste sie, wo ihre Wurzeln waren, zumindest vielleicht, aber dieses Vielleicht trug sie weiter, und so wurde Marie zu Madame Marie, mit weizenblonden Haaren und einer Vergangenheit im Süden, wo der Mann zu leben schien, der verschwand, ehe Marie auftauchte, und der Schuld daran hatte, dass ihre Mutter es mit einer Stricknadel versucht hatte.

„Was machst du?“ fragen viele Leute, wenn sie Madame Marie sehen, und wollen wissen, woher die Blässe und die Gier in ihrem blanken Blick kommt, und Madame Marie antwortet dann immer „Engel“, mit einem geheimnisvollen Blick und starren Lippen, und dann lächelt sie. Ein bisschen wahnsinnig, ein bisschen verwirrt.

Hinter vorgehaltener Hand tuscheln die Leute aus dem Dorf oft über Marie. „Die ist nicht von dieser Welt“, flüstert es über den Marktplatz, wenn samstags die Damen in bauschenden Röcken über die feuchten Pflastersteine schlurfen und neben dem neuesten Tratsch die frischen Lendchen von Bauer Malek in ihre Bastkörbe legen. Zu Hause, wenn die Lendchen über dem Feuer braten, servieren sie dann die Gerüchte neben frisch gebackenem Brot in ihren Bauernstuben, und „Sie ist nicht von dieser Welt“ wird zum eintönigen Mantra, das mit der Sonne untergeht, dort oben im Dorf, wo alles ein bisschen kleiner und alles ein bisschen enger ist.

Madame Marie weiß, was die anderen von ihr denken. Sie ist nicht dumm, und sie hört besser als alle anderen. „Ich bin von dieser Welt“, murmelt sie oft, wenn sie sich morgens im modernden Zuber ein wenig warmes Wasser bereitet, „meine Welt wohnt nur woanders“, nuschelt sie dann mit zusammengebissenen Zähnen, weil das Wasser doch ein wenig zu kalt geraten ist, und fügt trocken hinzu: „Sie wohnt zwischen Gott und den Menschen“.

Es war ein paar Monate nach dem Tod ihrer eisernen Mutter, als Madame Marie zwischen den Ähren lag und ein Weinen hörte. Erst verharrte sie regungslos, denn sie mochte keine Tränen, aber als der Wind das Schluchzen immer näher über Madame Marie wehen ließ, stand sie auf und folgte dem Schmerz. Zwischen zwei dunklen Bäumen lag sie, ein kleines Häufchen Elend, das nun mit weit aufgerissenen Augen auf Madame Marie starrte und abwehrend ihre Hände auf den Bauch legte. Madame Marie erkannte das Gesicht, sie hatte das Mädchen an manchen Sonntagen in der Kirchenbank sitzen sehen, doch jetzt schien sie kleiner und schmutziger. Madame Marie zog das Mädchen auf die Beine und nahm sie wortlos mit in ihre Hütte, und als die Tränen langsamer flossen, erfuhr sie eine Geschichte, die ihr bekannt vorkam. „Ich will es nicht“, murmelte das Tränenwesen immer wieder, und eine kalte Hand griff nach Madame Maries Herz.

In jener Nacht war es nicht Madame Maries eiserne Mutter, die nach einer Stricknadel griff, sondern Madame Marie selbst. Die Worte „Ich will es nicht“ bohrten sich in Madame Maries Herz, noch tiefer als die Stricknadel in den Leib des Mädchens, das am nächsten Tag nach Hause ging, als ob nichts passiert wäre, und an diesem Morgen, als die Sonne ein wenig strahlender als üblich aufging, erkannte Madame Marie, wozu sie auf der Welt war und lächelte wieder ein bisschen wahnsinnig.

„Engel“, meint Madame Marie seit jenem Morgen, „sind dort, wo Himmel und Erde sich berühren“, und dann nickt sie mit den wippenden, weizenblonden Haaren und starrt ins Leere. "Irgendjemand muss sie da ja hinschicken“, fügt sie hinzu, und wieder denkt sie an die Worte des alten Pfarrers mit den schlohweißen Haaren, der predigte, was Madame Marie erst jetzt erkannte. „Engel sind Geschöpfe, die zwischen Gott und den Menschen stehen.“ Madame Marie nickt sich selbst zu. Sie weiß, was zu tun ist.

„Wer braucht einen Engel?“ annonciert Madame Marie seitdem im wöchentlichen Dorfanzeiger, und auch wenn sie nicht ausspricht, was sie denkt, steht zwischen den Zeilen das, was sie ausmacht, und nach Moral fragt in diesem Dorf keiner mehr.

Madame Marie lebt mit Engeln. Vielleicht ist sie selbst einer, wer weiß das schon.

Dienstag, 26. Juni 2007

Darf ich bitten, flüstert die Nacht

Darf-ich-bitten-fluestert-die-NachtEs gibt Nächte, die fordern mich heraus und gleichzeitig zum Tanz auf. Darf ich bitten, flüstert der Minutenzeiger der Dunkelheit zwischen den Sternen, und wenn der Halbmond sich oberhalb der raschelnden Zweige auf Wolken bettet, sehe ich ihm zu und schmiege mich an die kühle Brise, die neben mir auf dem Balkon sitzt.

Es gibt Nächte, die tanzen mit leichten Füßen federnd an mir vorbei, und wenn ich sachte den Kopf schüttle, weil meine müden Glieder nicht tanzen wollen, dann gleiten sie schwerelos und taktvoll an mir ab und versuchen sich auf dem kalten, grauen Boden an einem Schlummerlichtwalzer, den nur ich hören kann.

Es gibt Nächte, in denen ich lautlos bitte, aber meine Sehnsüchte prallen ab an der Mauer des Nebels, der die Stunden umhüllt, in denen ich alleine in milchigem Schein verharre und warte, dass es vergeht, das Bitten, das Abprallen, der Schein.

Es gibt Nächte, in denen mein Kissen eckig wird und die Kanten der Dunkelheit mich schneiden, und das Blut, das dann fließt, ist zäh und zögerlich und zerrinnt in den Morgenstunden, wo Tau aufkommt und der Schlaf sich noch immer vor mir versteckt.

Es gibt Nächte, da ist das Bier überschäumender als meine Träume, und die Geschichten der geschlossenen Augen wollen nicht kommen, erst recht nicht bleiben, und wenn seine dunklen Augen in den Wolkenumrissen auftauchen und mir zuzwinkern, dann verknoten sich unsere Blicke und der Schaum wird schal.

Darf ich bitten, flüstert die Nacht, aber ich sage Nein, ich tanze nicht mit dir, ich muss über dich wachen.

Montag, 18. Juni 2007

Gewittermädchenmonologe, unkoordiniert

Gewittermaedchenmonologe-unkoordiniertEs kommt von oben. Oberrücks, oberfuchsig, obenrum.

So wie unlängst. Der Himmel weinte. Aber erst, als die Tränen kamen. Lautlos erlagen sie der Schwerkraft, doch ehe sie auf dem sommerheißen Asphalt verdunsteten, zauderte der Himmel und beschloss, loszulassen und rauszulassen, was die schwül-schweren Wolken nicht mehr tragen und ertragen konnten, und Tränen und Gewittertropfen vermengten sich - oberrücks, oberfuchsig, obenrum.

R. sagt, ich sei zahm geworden, als ich an dem runden Tisch mit den Zigarettennarben sitze und das Handtuch sich um meinen klammen Körper windet, und ich will nicht zugeben, wie richtig er liegt. Sein Kinn ist noch genauso eckig wie damals, und ich denke an Bananen und Kinderschokolade, wenn ich in seinen Augen versinke, weil die Erinnerung gerne in Banalitäten badet, nicht in Emotionen. „Warst du in mich verliebt?“; höre ich mich fragen, und seine Kinderschokoladen-Bananen-Augen zögern und lächeln. „Ich war ein Schwein damals“, sage ich, und in dem Moment meine ich es so und wundere mich, dass ich das sage, aber eigentlich auch nicht, weil er schon sagte, dass ich zahm geworden bin und damit Recht hat. Mein Biss ist fort, er hat nicht mal einen Grabstein verdient, und ich senke den Blick, weil in meiner Regenbogenhaut steht, was das Gewitter noch nicht verkraften kann.

Es hat aufgehört zu gewitterregnen, es blitzt nur hin und wieder lautlos und engelsgleich auf dem Asphalt im Morgengrauen, und als wir auf der blanken Straße stehen, will ich in seinen Armen ertrinken oder alleine schwimmen, ich weiß es selbst nicht genau. Seine Arme sprechen eine andere Sprache als seine Augen, und es blitzt immerfort und fängt wieder an zu regnen. Es sind nicht seine Worte, die mich überschwemmen, es ist das, was mal war, aber nicht sein konnte.

So wie unlängst. Der Himmel weinte, aber das Kind lachte, und die Pfützen waren sommerwarm. Ich laufe die Holztreppe nach unten und lasse mich wegschwemmen, tanze mit den Gewittertropfen um die Wette und halte inne, um regenfrische, blutrote Kirschen zu pflücken, die so süß schmecken wie das Lachen des Kindes, als es ebenso die Holztreppe nach unten flitzt und an meiner Hand lernt, wie man gegen ein Gewitter trotzt.

Ich warte mit Gin auf Mitternacht und den Wechsel der Tage, aber ich gehe nicht auf den Balkon, weil kein Gewitter auf mich wartet – nicht jetzt, nicht morgen, keine Tropfen, die mit mir weinen. Die warmen Finger von R. habe ich fast vergessen, auch den Tau auf den Straßen danach, und irgendwann werde ich ihm schreiben, dass meine letzten Worte mir Leid tun.

Vielleicht geh ich doch noch auf den Balkon. Um zu sehen, ob der Lavendel gewachsen ist. Ich mag den Geruch von Lavendel nicht, aber es heißt, er blüht für Verstorbene, also muss er auch bei mir blühen. Lila-leicht, betörend-blumig, schwülstig-schwer. Wer fragt schon nach dem Geruch, wenn er Erinnerungen und Menschen in den Blüten trägt?

Ich habe heute die blaue Stunde verpasst und bin wehmütig, weil ich seit Wochen darüber schreiben will, über die Stunde zwischen Licht und Dämmerung, in der das Herz lauter pocht als sonst und die Gedanken sich kasteien, in den 60 Minuten des Flimmerns zwischen Sonne und Mond, wo Gedanken kein Zuhause finden, und ich denke an Emma und andere und ihn.

Wie schrieb Erich Kästner so schön wehmütig?

Die Welt ist groß. Du wirst dich drin verlaufen.
Wenn du dich nur nicht allzu weit verirrst …
Ich aber werd mich heute Nacht besaufen
und ein bisschen beten, dass du glücklich wirst.


Ohne mich und mit mir zugleich. So ist es eben mit Donner und Blitz.

Freitag, 8. Juni 2007

Prost.

J. hat Schmerzen. Sie verlacht sie zwar glockenhell mit ihrer dunklen Stimme, aber sie sind da. Schleichend wie der Tod, nahe wie das Gestern, greifbar wie unser Bier, das uns leicht macht wie Daunen-Federn und uns zaudern lässt.

„Hast du vier Tabletten genommen?“, frage ich, und sie lächelt kühl und nickt. „Was wäre, wenn du keine nimmst?“, frage ich weiter, und sie schüttelt mich ab wie eine lästige Mücke, die kurzerhand erschlagen wird und sich krümmt im Todeskampf. Sie mag nicht, wenn ich frage, aber ich tue es trotzdem - oder gerade deshalb, weil Fragen immer offen sind, vor allem bei J.

„Dann hätte ich überall Schmerzen“, sagt sie lächelnd und reckt ihre müden Glieder, und ich hätte sie selbst gerne, die Schmerzen, die J. so hemmen. Lass es mir wehtun, du da oben, lass mich einen Teil der Schmerzen mittragen, flüstere ich, aber keiner hört mich, und J. lacht ihr Katzenlachen, ein bisschen zu laut und ein bisschen zu krampfhaft.

J. sagt, dass ich schreiben soll, über sie oder andere Psychosen, aber meine Worte sind zu leer und zu voll mit Traurigkeit. „Ich schreibe doch immer nur depressiv“, sage ich, „da muss doch mal ein Witz rein. Sag was Lustiges!“ kontere ich und warte auf ein oberflächliches Katzenlachen, das nicht kommt.

„Ich mag es, wenn du traurig schreibst“, sagt J., obwohl sie gar nicht traurig ist, und ich, die Frau mit den hafennuttenblonden Haaren, ich lächle, ein bisschen verhalten und ein bisschen wehmütig.

Die Weingläser von J. sehen aus wie eine Tulpe, und ich sage „Die sind nicht von Ikea, oder?“, und ihr Hund mit der Schwarz-Weiß-Zeichnung liegt neben uns und furzt.

Irgendwann, ich weiß nicht, warum ich daran denke, klopfte eine Frauenzeitschrift an die Tür von J., und sie machte auf. Nach langen Fragen und kurzen Antworten entstand eine Geschichte, die keine war. Zu viele Unwahrheiten standen zwischen den Zeilen, aber niemand konnte sie lesen. J, hat bis heute den Artikel nicht angeschaut, aber das muss sie nicht. Wozu auch? Ihr Vermächtnis ist ein anderes.

„In drei Tagen sind wir tot“, sagen wir seit neun Monaten zueinander, und wir erinnern uns nicht mehr, warum wird das sagen.

„Das Bier geht aus“, sage ich promille-traurig, aber J. tippt gedankenschwer vor sich hin, beinahe lautlos. „Ich gehe zur Tankstelle“, sage ich nebenbei mit rauer Stimme, aber J. hört mich nicht, zu sehr verhallen ihre Finger auf den Tasten, die darüber schreiben, was morgen sein wird.

„Bitte ein Bier“, ruft mir J. hinterher, und ich werde es holen, da draußen an der Tankstelle im Westen, solange J. noch trinken kann.

Prost.

SerialMum1-1-0

Sonntag, 27. Mai 2007

Eismänner im Februar

Eismaenner-im-FebruarImmer, wenn sie an dem kleinen Friedhof vorbei geht, spricht sie mit ihm. Sie bleibt nie stehen, geht monoton ihre Schritte, aber im Vorbeilaufen späht sie über die Friedhofsmauer und vermutet, wo das Grab in der Dunkelheit liegt. Sie war bisher erst zwei Mal dort, an diesem kalten Tag im Februar, als ihre schwarzen Stiefel im Pulverschnee einsackten und die Stimme des Pfarrers von der Ferne ertönte, und ein Jahr danach, an einem Februartag ohne Schnee, aber mit Eismännern, als es still war um das Grab und nur eine Handvoll Menschen gekommen waren, um ein paar Tropfen Weihrauch auf das gefrorene Grab zu sprenkeln.

„Ich gehe jetzt zu deiner Familie“, murmelt sie jedes Mal, wenn sie an der Friedhofsmauer vorbeiläuft, „ich passe auf alle auf“, und es ist ihr seltsam zumute, ein bisschen wehmütig, ein bisschen froh, ein bisschen rührselig. „Ich werde deine Frau umarmen und für deine Kinder da sein“, sagt sie jedes Mal, wenn sie in der Dunkelheit durch die schmale Gasse geht und sich erinnert, an den großen, schlaksigen Mann, an manche Zornausbrüche, an schallendes Lachen, an eine sonore Stimme, voller Tatendrang und Melodie. Musik war sein Leben, denkt sie, und er hat Musik hinterlassen. Ein Lied der Sehnsucht, das seine Familie singt, jeden Tag, mal ohne Töne, mal mit einem Orchester, pompös und engelsgleich, und manche Noten hören sie nicht, weil sie zu traurig sind.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“, sang er an seinem letzten Weihnachtsfest voller Sehnsucht, als sein Körper ihm Streiche spielte und er vielleicht fühlte, was kommen wird. Seine Familie wärmte ihn mehr als die Kerzen, die brannten, und er erinnerte sich wehmütig an vergangene Zeiten, als er kilometerweit im See schwamm, mit den Freunden seiner Kinder Fußball spielte und noch nicht gefangen war in einer Krankheit, die ihn zerbrechlich und schwach machte. „Ich wäre so gern der Fußball-Opa“, sagte er seiner ältesten Tochter mit wässrigen Augen, und sie brachte ihr Herz zum Schweigen und tröstete ihn. „Schau, du bist der Vorlese-Opa, das ist doch auch schön“, beruhigte sie ihn und fühlte eine Traurigkeit in sich aufsteigen, die nie mehr verging.

„Geht ihr heute Abend noch aus?“, fragte er eines Abends, als sie ihn gerade erst kennen gelernt hatte, damals, in einem Winter der Veränderung, als sie gerade mal siebzehn war und seine älteste Tochter ihre beste Freundin wurde. Sie kicherten heimlich über seine Formulierung, sagten „Er spricht ein bisschen altbacken, oder?“ und antworteten: „Wir gehen nicht aus, wir gehen in die Stadt“. Damals war er in den Fünfzigern und nannte weggehen „ausgehen“, was ihnen komisch vorkam, aber seine Sprache war und ihn zu dem machte, was er war.

Er konnte aufbrausen wie eine Sirene, laut und jähzornig, aber er meinte es nie böse. Seine Erwartungen an seine vier Kinder waren so groß, dass niemand sie erreichen konnte, deshalb brach es oft aus ihm heraus, wie ein Gewitter, das schnell wieder verging. Er hatte wache Augen, mit denen er alles sah, auch das, was er nicht sehen sollte, und wenn er eine Geschichte erzählte, dann musste man ihm zuhören, es war Magie und Anziehung zugleich.

Es war im Januar, als seine Bewegungen nicht mehr so wollten wie er und ihn zu Fall brachten, und das viele Blut auf dem weißen Teppich im Wohnzimmer zeigte seinen Töchtern, dass nur noch die Rettung ihn retten konnte. „Meinem Papa geht es sehr schlecht“, schrieb ihre beste Freundin, und sie bekam Angst, tausend Kilometer von ihr entfernt. Sah den Mann vor sich, zu dem sie immer aufgesehen hatte, mit dem sie ihre Zwanziger verbracht hatte, und eine kalte Hand griff nach ihrem Herz. Ob es eine Ahnung war oder nur das Gefühl, für ihre Freundin da zu sein, sie fuhr nach Hause und hörte zu. Nahm in den Arm, hielt Hände, sprach Gebete.

Es war Sonntag und Eismänner zogen auf, als sie in einer Bar auf ihre Freundin wartete, die aber nicht kam. „Wo bleibst du?“ schrieb sie ihr eine Nachricht, und kurz darauf antwortete sie: „Bin im Krankenhaus. Kann jetzt nicht“, und als sie eine Stunde später durch die Tür kam, war sie traurig und weinte. Der Kellner stellte zwei große Gläser vor die beiden, und sie redeten, schwiegen, hielten Hände. Beim fünften Bier fand ihre Freundin ihre Fassung wieder, und sie sagte: „Dein Papa ist zäh. Er wird kämpfen“, und ihre Freundin sah sie mit blanken Augen an und nickte zaghaft.

Kurz vor Mitternacht betraten die Eismänner die Bar. Das rosarote Telefon der besten Freundin klingelte, und es wurde kalt. Ihre Augen wurden groß, als sie der lautlosen Stimme lauschte, und ihr Schmerz war noch größer, als sie ohne Mantel die Bar verließ in ein neues Leben, das mit dem Tod begann.

„Ich gehe jetzt zu deiner Familie“, murmelt sie jedes Mal, wenn sie an der Friedhofsmauer vorbeiläuft, „ich passe auf alle auf“, und sie wird es weiterhin sagen und weiterhin tun, denn sein Wesen, seine Augen, sein Lachen stecken in seinen Kindern, und auch wenn diese Kinder längst groß sind, brauchen sie jemanden, der auf sie aufpasst, weil es der große, schlaksige Mann nicht mehr kann, obwohl seine Melodie noch immer über dem Friedhof spielt.

Nellas Niemandsland

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