Montag, 30. Juli 2007

A4-Monolog, innen (Part II)

A4-innenAuf dem Nagellack steht, er trocknet in 60 Sekunden, aber das ist eine Marketing-Lüge, eine von vielen, wie der Schuster meines Unvertrauens, der sich Mr. Minit nennt, aber auf die Frage, wo ich warten kann, im Irrglauben, er brauche nur Minuten, nur sagte, ich solle in einer Woche wiederkommen, und ich lachte und schlug eine Umbenennung in Mr. Week um, was er nicht so zum Lachen fand. Meine Nägel leuchten Paris Hilton-like in knalligem Lack, ein bisschen Blut, ein bisschen Kirsche, ein bisschen Sex, und während die Farbe trocknet, tippe ich hirnleer und herzvoll nach dem Konzept von unlängst, das kein Konzept hat, der
A4-Monolog im Inneren,wo nichts einen Sinn hat, aber Wörter sich aneinander schmiegen auf der Suche nach einer Geschichte, die keine ist. Der Wunsch zu schreiben ist immer da, aber die Inhalte fehlen, es gibt nichts zu sagen, also reihe ich Buchstaben grundlos aneinander, einfach so, vielleicht entsteht ja doch eine Geschichte. Der Lack bleibt feucht, obwohl 60 Sekunden längst überschritten sind, meine Finger spreizen sich weit auseinander, während die beiden Zeigefinger tippentippentippen und nicht wissen, wohin. Ich will rauchen, jetzt, aber es geht nicht, ich schreibe ja noch, und ich will nicht schummeln, fair play für meine Leser, die handvoll wenigen. Der Fernseher neben mir redet über Kultur, Worte und Töne ziehen an mir vorbei, aber ein Satz bleibt hängen, den ich mittippe, als er gesagt wird, fast, als wäre er bedeutsam. Die schmallippige Frau mit den schlecht sitzenden Haaren steht irgendwo in Salzburg, es geht um die Festspiele, und sie sagt: „Wenn du willst, dass alles bleibt, wie es ist, dann musst du alles ändern“, und ich denke darüber nach, jetzt, hier, zwischen den Buchstaben und dem Luft holen, während die gelackten Finger noch immer in der Luft zappeln. Und wenn ich alles ändern will, dann muss ich es lassen, wie es ist? Ich würde die TV-Frau gern danach fragen, aber sie ist nicht mehr da und hat einer Dame in Schwarz Platz gemacht, die gestelzt spricht und einen Reifrock trägt, unter dem eine italienische Familie samt Großmutter Platz hätte, aber klar, es ist eine Oper, sie singt jetzt pathetisch und rollt Töne über die faltige Zunge, war ja klar. Salzburg hat 150.000 Einwohner lerne ich aus dem Off, und morgen, wenn ich auf dem pinken Kissen durchs Land fahre, dann werde ich vielleicht wach, wenn wir in Salzburg halten, aber ich werde nicht an die schwarze Frau im Reifrock denken, sondern an die Vergangenheit, vor allem dann, wenn meine Augen auf den breiten Fluss fallen, der unter der Burg liegt, in dem meine Seele einst Schiffbruch erlitt. Es gibt Tage, da denkt man an Menschen, die es eigentlich nicht mehr gibt, die früher vielleicht mal wichtig waren, aber heute keine Rolle mehr spielen, nicht mal eine Nebenrolle, oder vielleicht doch, aber ihre Bühne ist irgendwo in der Dunkelkammer des Herzens, auf deren Tür steht „Zutritt verboten“, und ich halte mich dran, sonst würde es ja noch dunkler werden hier, in dieser Nacht, hier, jetzt, wo der Regen leise fällt und meine Wäsche auf dem Balkon ebenso zäh trocknet wie der kirschrote Blutnagellack auf meinen Nägeln. Ach nein, der Lack ist jetzt trocken.

Bücher, blassgelb, mit J. mittendrin

anhaengerIch wurde groß mit unzähligen gelben Buchseiten, umfangen von fremden Jahreszahlen und Geschichten, die vertraut erzählten, aber fern waren. Bücher, auf die ich damals stolz war, Bücher, die mir heute noch mehr erzählen. Nicht nur ihre Geschichte, sondern auch ihre Herkunft. Sie sind vergilbt, dünnblättrig, zerlesen, manchmal ohne Jahreszahlen, manchmal mit schlechter Geschichte, aber ich lese sie, damals wie heute, und ich fahre in Zeitlupe nach hinten, nach damals, nach drüben, dort, wo meine Mutter Bücher lieben lernte, aber viel zu wenig bekam, weil der Krieg seine Spuren hinterlassen hatte.

Die Nacht mag mich nicht, ich kann es spüren, sie lässt mich nicht ruhen, aber warum denke ich an alte Bücher, die keiner mehr liest, die keiner mehr kennt, deren Worte ich murmeln kann, aber nur noch in Antiquariaten finde, aber nicht bei Wikipedia? Die Zeit schreitet, das Leben wird dünn, nicht die Luft, die ist noch grau.

Heute morgen, nach dreieinhalb Tassen Kaffee, da musste ich weinen, mit ein bisschen wenig Grund, den ich nicht nenne, und ein bisschen mehr Sorge, um die ich weiß. Alt werden, das weiß ich, ist greifbar, fühlbar, spürbar, aber wenn ich ungeschminkt und in Schlabberklamotten Zigaretten kaufe, dann rührt das niemanden, ich zeige oft meinen Ausweis, und dann frage ich mich, ob das Leben mich verschont, warum darf ich hie und da wie 16 wirken, wenn meine Eltern alt werden?

Der Tod sitzt in meinem Herzen, und wer darüber lacht, hat keine Ahnung, und ich erst recht nicht, und während ich das tippe, muss ich lachen, denn ich wollte über J. schreiben, aber ich tue es erst jetzt.

„Ich hab heute darüber nachgedacht, ob wir beide uns einen neuen Anhänger für unsere Armbänder kaufen“, sagte ich, und J. sprach gleich von Eheringen für uns, von einem Band zueinander, einem Schmuckstück füreinander und meinte: „Kein Mann kann das, was wir haben, je übertreffen“, und ich, ich wurde ein kleines bisschen wehmütig, weil Glück nie an meiner Seite ist, auch das gemeinsam erlebte mit J. nicht, und ich hadere und bange vor dem, was kommt.

In wenigen Tagen, „noch neun mal schlafen“, stehe ich wieder vor J., und dann bin ich an ihrer Seite, wenn ihre Tochter eingeschult wird. Dort drüben, in meinem unaufgeräumten Wohnzimmer, da stehen stapelweise alte, gelbseitige Bücher, und eines davon, von meiner Mutter gelesen, von meiner Schwester gelesen, von mir gelesen – das werde ich in Seidenpapier schlingen und J.’s Tochter mitbringen. Keine Schultüte, kein Geld der Welt kann diesen Wert ersetzen oder auf die Waage legen, auf eine Waage, deren einziges Gewicht meine Tochter wäre, der ich ein solches Buch schenke, aber letztlich ist es ja so, denn J.’s Tochter ist meine, genauso wie J. ich ist und ich sie bin. Und das Buch, das lesen wir zu dritt, solange wir es können.

Und wenn nicht, dann bleibt uns der Anhänger, der silberne, der goldene, den ich mal vererben werde. Nicht an meine Tochter, nein. Sie wissen schon, an wen.

anhaenger

Sonntag, 29. Juli 2007

Sonntags, sinnlos

Sonntags-sinnlosSamtweicher Sonntag, träge Traumschiff-Zeit zu Orchestermusik aus dem Off. Manche Rituale sind erwünscht, manche erkämpft, manche verloren, und der Posteingang bleibt leer, während sich mein Promille-Haushalt mit Gintimitäten füllt und die alten Dielen meine Fußsohlen dunkel färben.

Seidenglatter Sonntag, verschenkte Augenblicke an das Rascheln der Zweige, dem Blick hinter den Stäben, getunkt in Koffein und das bisschen Hoffnung, das auf dem Balkon im Basilikum-Topf seit Tagen nicht versickern will und Schimmelgeruch durch die lauwarme Stunde schwellen lässt.

Satinglänzender Sonntag, verlegen und vergeudet zwischen Kissen und Sonnenstunden, ein Nachbar frittiert mittags totes Tier und lässt mich nicht schlafen, in dem kleinen Zimmer hinten im Haus, wo im Innenhof ein Mann mit Glatze an seinem Fahrrad herumfummelt und sich hinter pinken Vorhängen mein Körper auf Schlafsuche krümmt.

Aufgeben, keinen Brief, keine Beziehung, keine Banalität. Gefühle, Gedanken, Geheimnisse, die innen sind, im Kopf, Herz, Magen, verhüllt von Haut, verwischt von Hand. Wann gibt man auf, obwohl man nie gekämpft hat? Muss man gekämpft haben, um aufzugeben zu dürfen? Und wann ist er da, der Zeitpunkt, an dem man aufgibt, egal ob mit Kampf oder ohne? Ist kampflos aufgeben nicht ein Zeichen von Schwäche oder loslassen schlauer, wenn es nichts zu halten gibt, nie zu halten gab? Wann lässt man los, obwohl man nie gehalten hat? Muss man etwas festgehalten haben, um loslassen zu dürfen? Und wann lässt man los – wenn man nicht mehr die Kraft hat zu halten, wo es nichts zu halten gab?

Aufgeben: Hirngespinste, Höhenflüge, Herzenswünsche. Halten: Inne, außen, fest. Halten, an mir. Geben, nur mir. Kämpfen, um mich. Halten. Die Klappe. Jetzt.

Dienstag, 24. Juli 2007

Blockade in Zartbitter

Tief drinnen, wo der Wort-Knoten hockt und mich verhöhnt, verlaufen sich die Buchstaben im Nichts. Sie sind aufmüpfig und frech, lachen mich aus und verharren im Silben-Wirrwarr, das in mir geborgen ist. Sie wollen nicht raus, verlachen meine Sehnsucht nach klaren Sätzen und tanzen durcheinander wie in einer lauwarmen Buchstabensuppe, die keiner mehr essen will, matschig, aufgeweicht und flau, wie meine Glieder unter der halbhellen Schreibtischlampe in der verhassten Stadt, wo sogar jetzt noch so getan wird, als wäre heller Tag, wo Kreativität verschleudert, Menschen verheizt und Nerven zerrissen werden.

Die Oberflächlichkeit des Tages abschütteln, denke ich, gefordert und gedrängt werden, von mir, nicht von anderen, und schreiben, bis das Herz leichter ist, das so schwer hängt und pocht da drin, wo es umwirbelt wird von der Sehnsucht nach Worten und die Silben zartbitter in der Blockade zerstieben.

Die Nacht drückt auf die Lider, die Wimpern sind zu schwer, um zu flattern, aber mit halbgeschlossenem Blick starre ich auf das weiße Feld, das langsam voll wird, mit ein paar Worten aus dem Silben-Wirrwarr, zwar den falschen, aber immerhin, die Buchstaben reihen sich aneinander, und das monotone Klappern meiner Finger im halbdunklen Bürogebäude, wo von irgendwo weiter hinten ein Lachen erklingt, verhallt in der verregneten Nacht.

Irgendwo da draußen, wo der Wind sachte weht und Städte in Dunkelheit hüllt, ist die Antwort auf die Fragen, die ich nicht stelle, weil ich sie kenne, und wenn es hell wird, mit dickflüssigem Tau auf dem traurigen Asphalt, dann flattern meine Gedanken in die Ferne und verlaufen sich genauso wie die Silben in dem Wort-Knoten, der in mir hockt und mich verhöhnt, und sie werden wie die Buchstabensuppe matschig, aufgeweicht und flau.

Samstag, 21. Juli 2007

A4-Monolog, innen

A4-innenDie Schale mit dem Wasser unter dem matten Schreibtisch steht und kühlt noch immer, wenn es auch lauwarm und grau geworden ist, wann habe ich das letzte Mal die alten Dielen gewischt? fragt die Vernunft und verliert gegen die Faulheit. Du bist dick geworden, sagt eine raue Stimme blechern in meinem Kopf, und ich befehle mir, weiterzutippen, so wie es die altklugen Worte in den Büchern diktierten, die ich einst las auf der Suche nach dem perfekten Text, den korrekten Worten, den exakten Satzgefügen, damals, als ich noch nicht ausprobierte, einfach das aufzuschreiben, was mein Herz diktiert und ich merkte, dass ich es kann, das Schreiben ohne Ziel. Und dennoch ist die Übung, eine Seite zu schreiben, ohne anzuhalten, ohne nachzudenken, ohne Themen, keine schlechte, also tippe ich und nippe zwischendrin atemlos an dem blechernen Bier, dem zweiten des Abends, das mich innerlich kühlt und äußerlich mit einem Schweißfilm überzieht, den müden Körper, der in den letzten Wochen fülliger geworden ist, warum auch immer, zu viel Bier, zu viel Essen, zu viel Kummer, wer will das schon wissen, ich sicher nicht, wer sieht schon ein paar Kilo mehr. Der schwarze Bikini mit den schimmernden Blumen aus Pailletten, die ich irgendwann selbst aufnähte, als ich noch kreativ war, kneift an den Seiten, aber was spielt das schon für eine Rolle an einem Abend, an dem niemand sieht, dass meine Haare ungewaschen sind, meine Nägel brüchig und meine Zehen in einer Salatschüssel unter dem matten Schreibtisch wackeln. Meine Finger werden müde in der Hektik, ja nicht mit dem Tippen aufzuhören und einfach das zu schreiben, was mir durch den Kopf geht, und während ich das runterhacke, denke ich, dass sowieso keiner glaubt, dass dieser Text in einem Atemtippzug geschrieben wurde, so banal kann niemand denken, der hafennuttenblond ist, erkennen Sie diese Ironie?, und ich denke an meine Mutter, die meine Haarfarbe als "herausgekotztes Gerstenkorn" bezeichnet, nicht genau so, sie sagte es im Dialekt, aber das würden Sie ja doch nicht verstehen. Auf meinen Schultern hockt die Hitze der Nacht und die Last der Zukunft, und gleich ist Montag, den ich vergessen will, wie den Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, all jene Tage, an denen ich in mein oberflächliches Schauspielkostüm schlüpfe und das alltägliche Leben lebe, in dem die Klugscheiße das einzige ist, was über meine Zunge kommt und ich wieder mal auf Diät bin, weil der Stress mir die Lust auf alles nimmt, außer auf Bier, aber das werde ich nicht trinken, dort drüben in der verhassten Stadt, wo ein weißes Hotelzimmer antiseptisch auf mich wartet und die Nächte zäh und schal sind. Ich rauche zu viel, das Bier treibt mich an, aber ich treibe das Bier an, auf dass es fließt und auslöscht und das Feuer kühlt, das nicht brennen darf, da drinnen, wo mein wundes Herz sitzt und leise kichert, wozu weinen, denke ich, während die Tränen in der Hitze der Nacht versiegen und ich auf den Anruf von J. warte, wenn sie ihre müden Glieder ausgeschlafen hat und wir uns zum siebzehnten Mal in den letzten zwölf Monaten ein Hobby suchen, das uns am Leben erhält. Ich mag keine Menschen, höre ich mich gestern hohl sagen, genau, antwortet J., lass uns zusammenziehen und alle Menschen meiden, und ich lache unter den Fliesen meines Badezimmers, in dem die Glühbirne durchgebrannt ist und sehe mich im Spiegel, dunkel und verschwommen und ohne Konturen. Was soll ich noch tippen, ich habe ohnehin nichts zu sagen, lieber hole ich mir ein Bier, und ein weiteres, und noch eines, und starre auf den lautlosen Fernseher mit den bunten Bildern und singe ein bisschen vor mich hin, nachdem meine Finger müde getippt sind in dem Versuch, eine A4-Seite zu füllen, ohne innezuhalten, ohne Maß und Ziel, ohne Sinn und Verstand, und wenn Sie sich gelangweilt haben, dann machen Sie das mal nach.

Zirpen zirpen

Zirpen-zirpenDie Zirpen füllen die Nacht mit einem lauen Sommerstakkato und übertönen das monotone Pochen meines Herzens, das sich die Hausmauern hinabhackt, an den Efeuranken scheuernd und schlingernd, die müden Pflastersteine entlang, den Abgasen hinterher, nach Norden, ein bisschen links, durch die Nacht bis ganz nach oben, wo das Meer ist, das weise wartet und so voll ist mit leichter Leere.

Leere ist mir lieber als Fülle. Weil es Platz für Möglichkeiten lässt, tippt es sich zweifingrig durch den Bauch ins WWW, und das goldene Bier wird viel zu schnell warm auf dem matten Schreibtisch mit den Spuren aus Asche und alter Farbe, der einst wo anders stand und wo einst ein anderer saß und vielleicht auch ins Leere tippte und nicht voll war.

Dort unten auf der Straße, wo fremde Worte nach oben hallen und an der beige-blättrigen Hausmauer „Wien loves Neger“ steht, flattern Menschen abenteuer-anfällig in die schwüle Sommernacht, während meine Zehen unter dem matten Schreibtisch in einer Schale Wasser flattern und Blasen werfen.

Mitternacht hat mich gerade gestreift, die Zirpen zirpen noch immer, und freischwimmende Fragen-Fragmente verwandeln meinen müden Kopf in ein Kuriositäten-Kabinett ohne Ausgang. Warum ist es so heiß, habe ich meine Kreditkartenrechnung bezahlt, wann habe ich das letzte Mal meine Haare gewaschen, wie viele Zigaretten habe ich noch, warum nehme ich nicht ab, kommt heute noch etwas Interessantes im Fernsehen, warum habe ich Blähungen, warum spüre ich das Bier nicht, wann gehe ich zum Frisör, wo schlafe ich nächste Woche, soll ich ein Fahrrad kaufen, wann streift mich die große Liebe, gehe ich morgen einkaufen, wann kann ich endlich schlafen, warum brennt die Lampe im Bad nicht mehr, wann kommt die nächste Nachricht, warum bin ich so traurig, woher kommt der blaue Fleck an meiner linken Brust, warum zirpen Zirpen und haben kein eigenständiges Verb für ihr Tun?

Und da oben im Norden, ein bisschen links, ganz weit oben, wo das Meer ist, da sitzt mein Herz am Strand und verbuddelt seinen Schmerz im Sand, damit die Gezeiten ihn wegschwemmen. Und hier zirpt und ziept es noch immer - herzlos.

Donnerstag, 19. Juli 2007

Unter der Glasglocke

Unter-der-GlasglockeSommernacht, halbweich. Die blassen Buchstaben mit trägen Traurigkeitstropfen statt systematischer Satzzeichen sind mit einem schillernden Schweißfilm bedeckt, der in der Abendsonne glitzert. Es ist nicht die Hitze, die auf die Stadt drückt, es sind die Sterne, die zu hoch leuchten und zu tief fallen, und Sehnsucht breitet sich aus, auf meinen halbgeschminkten Wimpern, meinen abgebrochenen Fingernägeln, meinem zerschrammten Knie. Dazwischen ist nichts. Hohlwangige Häuser ziehen vorsichtig schaukelnd an mir vorbei, die Zeit ist schwerelos, kraftlos, ruhelos, ich habe verlernt, mich zu bewegen und starre blind auf meine müden Glieder, die nicht zu mir gehören. Der Schaffner schlurft lautlos murmelnd an mir vorbei, er will keine Fahrkarte sehen, ich bin durchsichtig oder unter einer Glasglocke, er verrät es mir nicht und verschwindet holprig im Niemandslandzug. Dazwischen ist nichts. Das Zimmer der Nacht ist begraben in der Vergangenheit, wer darin träumen wird, will ich nicht wissen, ich habe keine Spuren hinterlassen, denen man folgen kann, mir folgt niemand. Warme Worte fehlen umso mehr, wenn sie im Traum auf der Haut tanzten, und zwischen Fragen, Wundern und Vorwürfen wartet die Hoffnung auf ihr Grab, mit einem Hauch Lavendel und ein bisschen Wehmut, von dir gebuddelt, mit warmer Hand. Dazwischen ist nichts.

„Wie geht es dir?“ fragt eine Stimme von vielen.
„Genau so“, antwortet meine einen Takt zu spät.

„Ich wusste nicht, warum ich zu weinen anfangen würde, aber ich wusste, wenn mich jemand anspräche oder zu genau ansähe, würden mir die Tränen aus den Augen und die Schluchzer aus der Kehle laufen, und ich würde eine Woche lang weinen. Ich spürte, dass die Tränen in mir schwappten und fast überliefen – wie Wasser in einem wacklig stehenden Glas, das zu voll ist.“

Wenn man traurig ist, darf man Sylvia Plath nicht lesen.

Montag, 9. Juli 2007

Liege im Bett mit Rilke

[Aus dem Archiv, Sommer 2006]


Liege im Bett mit Rilke, Fried, Neruda
Suche Antworten in Schwarz-Weiß
Auf kunterbunte Fragen

Bette mich auf Buchstaben
Schmiege mich an Worte
Lehne mich an Sätze
Lege meinen Kopf auf
Aphorismen
Alliterationen
Anaphern

Und das Papier schneidet mich doch

Sonntag, 8. Juli 2007

Sonntags, banal

Es gibt Sätze, die sagt man nur ein Mal im Leben. Es gibt Sätze, die will man nur ein Mal im Leben sagen. Es gibt Sätze, die man teilen will. Es gibt Sätze, für die man sich schämt. Es gibt Sätze, die nie im Leben alleine ausgesprochen werden dürfen. Und es gibt Sätze, die man allein ausgesprochen hat, obwohl man es nicht wollte.

Ich spreche nicht von „Ich liebe dich“. Das sage ich mir selten. Wenn, dann eher „Du warst großartig“, und dann lege ich mir Geld aufs Kopfkissen, damit ich es auch glaube. Oder aber ich spiele mir selbst einen Orgasmus vor, damit es schneller vorbei geht. Aber ich schweife ab, weil das soll ein trauriger Text werden und kein lustiger.

Es gibt Sätze, die höre ich sonntags bei „Rosamunde Pilcher“. Und wenn diese Tatsache nicht schon peinlich genug wäre, es sind Sätze, die ich auch sagen will. Zumindest ein paar davon. Und ich meine nicht: „Du kannst Sinclair nicht lieben, er ist dein Bruder“, nein nein. Ich spreche von Gefühlen, den ganz platten. Von Schicksalen, den ganz erlebten. Von Krisen, den ganz unüberwundenen. Von Schicksalsschlägen, den ganz unverkrafteten. Rosamunde weiß, was ich meine. Sie hat sie geschrieben. Die will ich sagen. Die habe ich gesagt. Es gab nur niemanden, der sie hören wollte. Nicht mal Sinclair. Aber vielleicht ahnte er, dass er mein Bruder ist.

Sonntags, banal

Freitag, 6. Juli 2007

Aus Pfützen aufgetaucht

Aus-Pfuetzen-aufgetauchtWer auf dem Meer gewesen ist, scheut sich nicht vor Pfützen, stelzt sich ein russisches Sprichwort hölzern durch meine Gedanken, als ich die breite Straße in Zeitlupe entlang gehe und auf das graue Gebäude mit den Efeuranken zusteuere, das ich ferngesteuert finde, obwohl ich noch nie hier war, in der Straße der Entscheidungen.

Es ist ein Niemandslandtag ohne Geschmack, der gerne bitter wäre, aber es nicht ist, und obwohl die Sonne nicht scheint, schirme ich meine Augen vor dem Trübsinn des grauen Nachmittages ab. Die Vergangenheit geht neben mir, sie hält ihre mahnende Hand über mich, und ich fühle mich getragen, getrieben und gehetzt zugleich.

Die Stimmen in den Falten meiner Seele sind sich uneinig und hadern zwischen Vorwürfen und Vergebung, und ich stehe dazwischen, obwohl ich die helle Marmortreppe hoch laufe, ein bisschen zu tapfer, und ich stolpere über die Erinnerung, die sich mir in den Weg stellt und den Finger sachte hebt.

Die Frau mit den langen Haaren und dem verlebten Gesicht in dem großen Raum mit den gelben Vorhängen stellt leise Fragen, die ich ohne Sonnenbrille beantworte, und ich spüre ein kleines bisschen Angst, die die Härchen auf meinen Armen streichelt, als ich dankend ein Glas Wasser annehme.

Wer auf dem Meer gewesen ist, scheut sich nicht vor Pfützen, raschelt es zwischen den Zweigen der Großstadt, als ich wieder auf der Straße stehe und in die Sonne blinzle, die mit einem Mal da ist, und morgen früh geh ich schwimmen, ich scheue keine Pfützen mehr, denn ich bin längst untergegangen und aus den Pfützen wieder aufgetaucht.

Gestern werde ich sein

[Aus dem Archiv, Februar 2000]

Die Hoffnung, die langsam in ihrem Körper aufsteigt und ihr das Gefühl gibt, sie hat irgendetwas Klebrig-Süßes intravenös zu sich genommen - Schokoladensauce überdosiert – verteilt sich in ihr. Sie kann nichts dagegen tun. Sie weiß nicht, ob es berechtigt ist zu hoffen, hat keine Ahnung, ob sie richtig reagiert, spürt, ahnt.
Sie kann sich nicht wehren.
Es ist einfach da.
Chancenlos.

Gestern war er plötzlich und hatte ihr eine Überdosis verpasst, die sie taumeln ließ. Er hatte gewusst, wo sie sein würde und es dennoch nicht gescheut, auch zu erscheinen, obwohl er sonst keine Gelegenheit ausließ, ihr aus dem Weg zu gehen.
Er hatte über sie hinweggesehen, als er den Raum betrat, absichtlich oder unbewusst, sie würde es wohl nie erfahren. Er drehte ihr den Rücken zu, sprach, gestikulierte, lachte – nicht mit ihr.

Sie blickt auf seinen Hinterkopf, seinen Pullover, seine Hände, die er abwendet – von ihr. Sie lacht, als er sich umdreht, blickt in eine andere Richtung, zieht an ihrer Zigarette. Nippt an ihrem Glas, hält sich daran fest, bewundert das Rot des Weines. Nicht zeigen, was ihre Hände sagen.

Die Maschen seines Pullovers sehen in ihre Richtung, sie kann spüren, wie sie ihn wärmen. Sie möchte ihre Hände darunter stecken und tasten. Sie denkt an Spiele in Kindergärten, diese großen Schachteln, in denen irgendwelche Gegenstände sind, die man blind ertasten und erkennen muss. Sie stellt sich vor, wie sie unter seinen Pullover greift und ausruft, hurra, es ist ein Mann. Der Gedanke lässt sie auflachen.

Als er sich umdreht, sinken ihre Mundwinkel, als sie in seine Augen eintaucht. Schau weg, lass mich. Er lächelt, hebt die Hand zum Gruß, zeigt aber kein Bedürfnis, sich ihr zu nähern, mit ihr zu reden. Sie winkt zurück, sieht wieder weg, ignoriert den Schmerz tief in ihr.

Stunden später, als sie an der Theke steht und seine Hände ihren Nacken erforschen, weiß sie, dass sie verloren hat.

Hilflos ausgeliefert, entrückt, verzückt.

Ihre Haut hat sie betrogen. Sie muss sich umdrehen und den Blick seiner Augen sehen. Seine Hände lassen los, sie meint zu frieren. Er lächelt, doch seine Augen suchen. Sie unterdrückt ein Zittern, blickt zu Boden. Er spricht, es zieht an ihr vorbei. Sie kann nur mehr Gedanken denken. Sie stellt die Frage und wartet. Er zögert, seine Hände verstecken sich. Sie ertrinkt im Bedürfnis anzufassen. Er schweigt, schaut, beobachtet. Sie hebt den Kopf, sieht ihn an.

Augen versinken. Sie sieht die Bewegung seiner Lippen, Worte, die sie nicht hören kann. Sinne verloren. Rauschen in ihren Ohren, als sie erkennt, was gesagt wurde. Ein zaghaftes Lächeln umspielt ihre Lippen. Blickt auf ihn, sucht in seinen Augen die Wahrheit.

Nein.

Sie analysiert, fühlt es plötzlich in ihr aufstiegen. Hoffnung. Positives Nein. Seine Augen sagen ihr, was sie nun weiß. Sie sucht mehr. Ihre Hand auf seiner Schulter, unverzagt, mutig, hoffnungsvoll. Kratzende Wolle, sie möchte ihre Hand darunter stecken und fühlen lassen. Die zarte Haut finden, die Stelle, die wohl tut. Er hat es gesagt. Sie weiß, dass sie nicht verloren hat. Sie hört Musik an sich vorbeirauschen, Blut in ihren Ohren. Er senkt den Blick, versteckt.

Hingeben und aufgeben, das ist es, denkt sie.
Nicht mehr ankämpfen, zulassen. Ihm gehören.
Er sieht auf ihren Mund, möchte küssen. Denkt nach. Dreht sich um.

Küsst seine Freundin.

Nellas Niemandsland

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Die Vergangenheit im Niemandsland

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